Eine musikalische Wundertüte
Bodo-Warte-Konzert „Wandelmut“ in der Stadthalle Balingen auf dem Prüfstand – so barrierefrei ist die Location.
Aufmerksam auf Bodo Wartke wurde ich über Instagram. Seine Zungenbrecher haben mich so zum Lachen gebracht, dass ich neugierig geworden bin. Der Künstler ist zugleich Musiker und Kabarettist. Was hat der Mann im roten Anzug sonst so auf dem Kasten? Was unterscheidet ihn von den anderen Künstlern, die ich schon live gesehen habe? Und wie immer checke ich die Location für Euch – lest hier, wie barrierefrei die Stadthalle in Balingen ist.
Der Mann im roten Anzug
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Grün aufblinkende Scheinwerfer auf der Bühne am 24. November 2023 in der Stadthalle Balingen. Laute Geräusche wie Rasseln und Trommeln hallen in meinen Ohren. Es fühlt sich an, als würde mich der Beat einer riesigen Insekten-Wiese überwältigen. Bodo Wartke versteht es, sich am Klavier und mit weiteren Instrumenten zu begleiten. So schafft er es, mich mit seinen Reimkünsten über Insekten zu fesseln.
Das Ankommen an der Location
Aus dem Auto ausgestiegen, legte die Begleitperson mir meine Beintasche an. Die Tasche hat zwei Gurte. Der erste kommt um die Hüfte und der zweite wird am Oberschenkel befestigt. In der Beintasche befindet sich nur das notwendigste. Handy, Geldbeutel, Lippenpflege und zum Schluss dürfen natürlich die Augentropfen und Tabletten nicht fehlen. Sie ist nahezu perfekt für mich, sie rutscht nicht ständig von der Schulter, ich muss nicht ewig darin herumwühlen: Und das Schönste an den ganzen Sachen ist, ich kann trotz meiner fehlenden Feinmotorik in einer Hand meine Sachen mit der anderen Hand selbst verstauen, und wenn alles drin ist, habe ich beide Hände frei.
Ohne Treppen steigen zu müssen, betreten wir die Halle. Im Foyer kundschaftete ich nach der Ankunft erstmal mein Umfeld aus, was sich durch die beachtliche Menschenmenge als beschwerlich erwies. Inzwischen komme ich nach all der Zeit zwar mit der Tatsache klar, dass ich meine Umgebung verwackelt wahrnehme, um einiges besser zurecht. Stattdessen zerbreche ich mir über andere Sachen den Kopf.
Türen öffnen sich für mich nicht
Beispielsweise darüber, dass bei vielen Veranstaltungen keine Markierungsstreifen zu finden sind, und meine Assistenz mir durchgehend Treppenstufen ankündigen muss. In vielen Locations ist an den Treppen auf nur einer Seite ein Treppengeländer vorhanden, was mega-frustrierend sein kann. Das habe so zum Beispiel beim Fanta-4-Konzert in der Schleyerhalle in Stuttgart erlebt. Dann bin ich für jeden Schritt auf Assistenz angewiesen.
Positiv fiel mir auf: In der Stadthalle können sich Menschen mit Rollator oder im Rollstuhl frei bewegen. Soweit ich sehen konnte, waren auch Fahrstühle vorhanden. Einziges Manko: Die Türen der Halle öffnen sich nicht automatisch.
Wir drängten uns durch die Masse und suchten unsere Plätze. Der gigantische Theatersaal war voll besetzt. Zu meiner Verwunderung war erstaunlich viel Platz zwischen den Sitzreihen. Heißt im Klartext: Ich konnte ohne Schwierigkeiten an den Leuten vorbei. Leider wird in den meisten Konzertsälen an dieser Stelle am Platz gespart. Und wenn es zu eng wird, komme ich leicht ins Stolpern.
Ich sehe ein Ampelmännchen
Die Beleuchtung im Saal ging aus. Ein Mann in Rot betrat die Bühne. Ihr kennt doch das rote Männchen, wenn ihr vor der Ampel wartet? Genau so sah Bodo Wartke in dem Moment für mich aus.
Natürlich war er selbst nicht rot, sondern trug einen roten Anzug. Zwischendurch beschrieb mir meine Assistentin die Bühne, neu dazugekommene Musikinstrumente und den Anzugswechsel des Künstlers – jetzt war die Ampel sozusagen auf Grün gesprungen. Aufmerksam hörte ich den Zungenbrechern, den amüsanten Erzählungen wie auch dem lustigen Gesang zu. Ich schätze Bodo Wartke vor allem dafür, wie er Krabbeltiere musikalisch zum Leben erweckt hat, als er die Trommeln rührte, das Klirren der Rassel ertönte, und er Moskitos in seinem Sprechgesang aufnahm. Hier bekommt ihr einen Eindruck, was ich meine:
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Der letzte Ton
Eine Verbeugung als Dank, dröhnender Applaus. Während der Saal sich langsam leerte, machte ich mit meiner Assistentin noch einen kleinen Rundgang. Auf keinem Konzert konnte ich die Bühne so aus der Nähe sehen.
Wir haben an dem Abend viel fotografiert, um Euch auf Instagram einen Einblick in mein Leben mit Seheinschränkung zu gewähren.
Also hinterlasst mir gern einen Kommentar mit euren Wunschthemen oder was euch gefallen hat, und folgt mir auf Social Media. Jetzt bekommt ihr noch das Ergebnis meines Location-Checks – so barrierefrei ist die Stadthalle in Balingen:
Rikas Location-Check: 4 von 5 Sterne
Räumlichkeiten:
+ Hell
+ Ebenerdig: Obere und untere Etage sind leicht für Menschen mit Rollstuhl oder mit Gehhilfen zugänglich. Es ist genug Platz, sodass sie sich frei bewegen können.
+ Fahrstuhl vorhanden
Check- in/ Einlass:
+ Ebenerdiger Eingang ins Gebäude und in den Theatersaal
Service:
+ Überaus freundlicher Garderobenservice
Bestellvorgang der Karten:
+ Ticketbestellung lief super unkompliziert über den Anbieter Easytickets; ein Anruf genügte, wir haben telefonisch erklärt, dass eine Person mit Schwerbehindertenausweis und eine Begleitung zum Konzert kommen wollen. Wir durften uns unsere Wunschplätze aussuchen. Karten kamen wenig später per Post.
Bremsklotz:
Der Gang zum Bäcker: Straßen und Wege – oft krumm und schief
Lies hier meinen Gastbeitrag für das Mitteilungsblatt meines Heimatortes Althengstett. Ich beschreibe darin, wie schlecht es auf den Straßen des kleinen Ortes um Barrierefreiheit bestellt ist. Ein Fakt, der mir auch kurze Wege im Alltag schwer macht:
Mein Name ist Rika, bin 33 Jahre alt. Ich habe einen Blog rikas-blog.de und poste auch auf Instagram. Meine Berichte sind aus der Perspektive einer seh- und geheingeschränkten Frau. Ich möchte Menschen mit Einschränkungen dazu motivieren, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Den Menschen ohne Einschränkungen möchte ich vermitteln, wie man kulturelle Angebote inklusiver gestalten kann.
So orientiere ich mich
Früher saß ich im Rollstuhl. Mein Weg zum Bäcker mit Walking Stock in Begleitung meiner Sportassistenz sieht so aus:
Da ich keine Straßenschilder lesen kann, orientiere ich mich an größeren Anhaltspunkten, wie ein farbiges Haus sein, der Kirchturm, ein Friedhof oder ein Zaun und merke mir so den Weg. Auf den Straßen meines Heimatortes ist es eher schlecht um Barrierefreiheit bestellt.
Der Stock ist wie ein guter Freund, Stütze bei Unsicherheit, das Gleichgewicht verliere oder erneuter Orientierung. Wenn alle Stricke reißen, steht mir meine Assistenz mit Tipps und Tricks zur Seite. Mein Umfeld nehme sehr unscharf wahr, meine zitternden Augen (wie Wackelkontakt) müssen sich bei jeder Bewegung neu fokussieren. So stoße ich wie viele andere Menschen mit Einschränkungen, wie z.B Fußgänger mit Rollator / Rollstuhlfahrer auf beschwerliche Hürden.
Holprige Wege bringen mich ins Wanken
Mit dem Stock immer voran, taste ich jegliche Barriere ab. Auf dem Weg zum Bäcker erwarten mich Hindernisse wie nicht abgesenkte Bordsteinkanten, Mülltonnen, enge Bürgersteige oder holprige Wege, die mich ins Wanken bringen. Solche Situationen verunsichern mich massiv.
Früher, noch mit Rollator unterwegs, habe ich die ungeraden Strecken und Bordsteinkanten verflucht. Mit Walkingstock stehe ich heute vor anderen Aufgaben: Treppen / beidseitige Handläufe! Es fehlen die Markierungsstreifen zur Erkennung der einzelnen Stufen. Die Treppe vor dem Seniorenheim ist leider ein perfektes negatives Beispiel. Mir ist klar, dass es an vielen Stellen noch an Aufklärung mangelt und dadurch das Bewusstsein dafür fehlt.
Doch zusammen können wir so viel erreichen, wenn wir nur wollen.
Lest hier weitere Gastbeiträge, die ich für das Mitteilungsblatt in einer kleinen Serie geschrieben habe:
Hilfsmittel: Ohne technische Unterstützung sind wir am Arsch
Meine 9 Tipps für digitales Arbeiten als mehrfach eingeschränkte Person
Ich will euch Hilfsmittel für Menschen mit Mehrfacheinschränkung vorstellen. Denn in den vergangenen Jahren habe ich viele Erfahrungen mit Apps, Softwareprogrammen und anderen Hilfsmittel für Seheingeschränkte gesammelt – aber die helfen mir oft nicht. Ich will euch meine liebsten Hilfsmittel für Menschen mit Mehrfacheinschränkung vorstellen – in der Hoffnung, dass auch für euch etwas dabei ist, das euch das Leben leichter macht.
Das Problem bei mir ist, dass ich ein paar Hilfsmittel, die für komplett blinde Menschen gemacht sind, nicht benötige oder nicht benutzen kann.
Zum einen sehe ich dafür noch zu gut: Bei mir ist eine Sehkraft von 30 bis 40 Prozent vorhanden. Die Brailleschrift benutze ich deshalb nicht, sondern versuche mit meiner verbliebenen Sehkraft und starkem Zoom auf dem Bildschirm zu lesen.
Zum anderen taugen mir nur Hilfsmittel, die ich mit einer Hand bedienen kann, denn mein linker Arm ist gelähmt. Bei mir kommt auch noch ein verlangsamtes Arbeitsgedächtnis durch meine Gehirnblutung dazu. Weil viele Hilfsmittel NUR für Blinde gemacht sind, nicht aber für Personen mit mehrfacher Behinderung, habe ich mich auf die Suche gemacht: Welche Hilfsmittel sind für mich und andere Menschen mit einem vielfältigen Einschränkungsbild geeignet?
Hier meine 9 Tipps, wie du herausfindest, welche Hilfsmittel für Menschen mit Mehrfacheinschränkung dir WIRKLICH helfen!
1. Recherchiere in Eigeninitiative nach Hilfsmitteln
Was für ein Hilfsmittel suchst du? Es gibt eine breite Palette von Produkten. Das können unter anderem Sehhilfen, Hörhilfen, Prothesen oder orthopädische Hilfsmittel sein. Nach meiner Einhandtastatur habe ich damals selbst im Netz recherchiert und mich dann mit einer Mitarbeiterin einer Beratungsstelle, die selbst von einer Seheinschränkung betroffen ist, ausgetauscht. Schließlich habe ich die Tastatur bei der Firma Tipykeyboard in Österreich bestellt. Was bedeutet das für dich als Betroffene? Werde dir klar darüber, was genau du suchst.
2. Probiere Apps und Programme immer aus
Nur durchs Testen findest du heraus, welche Hilfsmittel wirklich zu dir passen.
Hier ein paar Beispiele für dich:
App „Be My Eyes“:
„Be My Eyes“ verbindet blinde/seheingeschränkte Menschen mit Freiwilligen. Dadurch, dass die Freiwilligen den Betroffenen ihre Augen leihen, helfen sie den Benutzern bei verschiedenen Aufgaben.
Zum Beispiel beim:
- Lesen von Etiketten
- Zusammenstellen und Identifizieren von Kleidungsstücken
- Bedienung des Fernsehers
- Sortieren von Musik oder Büchern
- …
App „Seeing AI“:
Die App „Seeing AI“ kann mithilfe von künstlicher Intelligenz Menschen, Gegenstände und Texte in der näheren Umgebung beschreiben. Sie liefert auch:
Beschreibungen von Fotos auf dem Handy:
- Gesichtserkennung
- Einschätzung des Alters und Geschlechts, sowie der gezeigten Emotionen einer Person
- grobe Beschreibung der unmittelbaren Umgebung
- Erkennung von Geldscheinen, Farben und handgeschriebenem Text
- Es besteht eine Audio-Output Funktion.
3. Nimm die Bedienungshilfe von deinem Smartphone in Anspruch
Die Bediengungshilfen erleichtern dir den Umgang mit deinem iPhone.
Zuallererst gehst du auf Einstellungen und dann auf die Option Bedienungshilfe. Dort besteht die Möglichkeit, die Schrift zu vergrößern oder die Sprachausgabe zu verwenden.
Wusstet ihr schon, dass die meisten Smartphones eine Audio-Output-Funktion haben?
Diese Funktion ermöglicht es dir, dich auf dem Smartphonebildschirm zurechtzufinden, ohne ihn sehen zu müssen. Das Gerät sagt dir, über welcher Schaltfläche sich dein Finger befindet.
Auf Android-Geräten heißt diese Funktion TalkBack und auf iOS-Geräten VoiceOver.
Smartphones oder Tablets bieten zahlreiche weitere Bedienhilfen. Dazu verlinke ich Dir hier 2 Videos.
Talk Back als Hilfsmittel für Menschen mit Mehrfacheinschränkung
VoiceOver als Hilfsmittel für Menschen mit Mehrfacheinschränkung
4. Verwende Siri als Sprachassistenz
Bei Siri handelt es sich um einen Sprachassistenten von Apple. Siri wird ausschließlich auf den mobilen Geräten von Apple genutzt, wie z.B. iPhone und iPad. Mir selbst hilft Siri sehr beim Eintragen von Terminen, beim SMS schreiben oder bei Recherchen im Internet.
5. Nutze als Hilfsmittel eine Bildschirmlupe am PC
Das Softwareprogramm Zoom-Text ist mir eine große Hilfe beim Arbeiten am PC. Ich kann den Bildschirminhalt stark vergrößern und mir die Textinhalte vorlesen lassen.
6. Versuche es mit der Einhandtastatur
Durch meine Halbseitenlähmung kann ich nur mit der rechten Hand schreiben. Der linke Arm kommt bestenfalls bei grobmotorischen Aufgaben zum Einsatz. Aber das ist gar kein Thema für mich denn mit der Einhandtastatur “Tipykeyboard” hast du mit einer Hand alles im Griff, egal ob du Rechts- oder Linkshänder bist. (https://tipykeyboard.com)
7. Das eyesmart-Tablet
Dieses Android-Tablet oder Smartphone (https://www.reineckervision.de/produkte/elektronische-brillen-und-mobile-assistenzsysteme/eyesmart/) ist mit einer Software für Menschen mit einer Sehbehinderung ausgestattet. Gut verständliches Menü, große kontrastreiche Texte und klare Sprachrückmeldungen machen die Kommunikation mit eyesmart intuitiv, heißt es von der Firma. Ich will es bald testen.
Das Arbeiten am Laptop mit dem Programm Zoom-Text hat den Nachteil, dass mir durch die starke Vergrößerung die Übersicht fehlt.
Beim eyesmart hingegen ist der Bildschirm kleiner, aber ich habe trotz eingeschränktem Gesichtsfeld alles im Blick. Aus diesem Grund denke ich darüber nach, mir ein eyesmart-Gerät zu kaufen
8. KI (künstliche Intelligenz)
Um mir das Schreiben zu erleichtern, bin ich auf der Suche nach KI-Helfern, die mich bei der Grammatik, bei der Zusammenfassung von Texten unterstützen. Darüber lese ich viel (https://www.computerweekly.com/de/tipp/29-KI-Tools-die-bei-der-Content-Erstellung-unterstuetzen). Allerdings bin ich noch dabei herauszufinden, welche KI wirklich zu mir passt und mir bei meinen Schwierigkeiten am besten hilft. Habt ihr Tipps? Schreibt mir gerne!
9. Nimm wegen Hilfsmitteln Kontakt zu Beratungsstellen auf
Wenn Du Glück hast, können Dir Beratungsstellen auf dem Weg zu den richtigen Hilfsmitteln helfen. Sie haben Erfahrung mit einigen Programmen und Geräten.
Diese Beratungsstellen haben mir persönlich am meisten geholfen:
- Der Blinden- und Sehbehindertenverband Baden-Württemberg beantwortet Dir alle Fragen zu Hilfestellungen im Alltag und ermöglicht Erfahrungsaustausch im Sinne des Selbsthilfegedankens.
- Die Ergänzende unabhängige Teilhabe-Beratungsstelle in Calw hat eine Beraterin, die selbst eine Einschränkung hat. Sie kann meinen Bedarf nachvollziehen und mir deshalb gute Tipps geben.
Am Ende bleibt mir nur eins zu sagen:
Unabhängig davon, welches Hilfsmittel du dir anschaffen willst, informiere dich zuerst, lass dich beraten und teste es, wenn möglich, bevor du das Produkt kaufst oder es dir über deine Krankenkasse bestellst.



