Vernetzung schafft Inklusion – Ämter im Verzug

Ich bin Rika Spitz, 34 Jahre, und lebe mit einer Seh- und Geheinschränkung. Vor 2 Jahren bin ich von Weingarten zurück zu meinen Eltern nach Althengstett gezogen. Mich mit meinen Fragen zu Hilfestellungen für Menschen mit Behinderung an die Gemeinde Althengstett zu wenden, kam mir erst gar nicht in den Sinn. Ein Angebot, wie es von der Unabhängigen Teilhabe Beratungsstelle (EUTB) aus Calw angeboten wird, kannte ich aus Althengstett nicht. Deshalb wandte ich mich direkt an die Stelle in Calw, die ich noch von früher kannte und die mit meinem Fall bereits vertraut waren.

Einige Monate später habe ich erfahren: Im Althengstetter Rathaus ist gar nicht bekannt, dass es die Beratungsstelle in Calw gibt. Um ehrlich zu sein, hat mich diese Erkenntnis ein klein wenig geschockt. Eine Person mit Einschränkung, die neu nach Althengstett zieht, könnte von der Gemeinde einen Hinweis auf die EUTB brauchen, die Hilfsangebote in der Region für Menschen mit Behinderung sammelt und weitergibt. Die Gemeinde sollte Menschen mit Behinderung mit solchen Informationen unter die Arme greifen, finde ich.

Auch die Beratungsstelle muss in gutem Kontakt mit Ämtern stehen, um den Betroffenen die richtigen Informationen zu geben. Betroffene sind darauf angewiesen, zügig die richtigen Ansprechpartner für ihre Anliegen zu finden, um dann Anträge auf Unterstützung stellen zu können. Sie sind die Leidtragenden, wenn der Informationsfluss nicht gut funktioniert.

Findet eine effektive Kommunikation unter den Mitarbeitern von Ämtern und Beratungsstellen statt, kann folgendes erreicht werden:

  • Rathausmitarbeiter können neuen Bürgern mit Einschränkung Beratungsstellen empfehlen und einen Zugang zum Hilfesystem ermöglichen.
  • Austausch von Wissen über Unterstützungsbedarf von Menschen mit Einschränkung
  • Eine Gemeinde wie Althengstett könnte Mitarbeiter von Beratungsstellen als Experten heranziehen, wenn es darum geht, Bauprojekte oder Stadtfeste barrierefrei zu gestalten.

Ich habe mehr als 10 Jahre Erfahrung mit verschiedensten Ämtern. Im Augenblick kämpfe ich um das persönliche Budget, damit ich ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass Eigeninitiative erforderlich ist. Die praktische Umsetzung läuft über ein selbst zusammengebasteltes Team von mir. Diese Helfer zu finden, hat ein Jahr gedauert. Sie führen mich durch den Dschungel an Bürokratie und unterschiedliche Ansprechstellen. Alleine wäre ich wirklich aufgeschmissen.

Komm aus deiner Bubble, kämpfe für Inklusion!

Inklusion bedeutet für mich, dass sich alle Menschen gegenseitig helfen. Inklusion bedeutet für mich Kommunikation auf Augenhöhe. Und dass keiner ausgegrenzt wird. Inklusion bedeutet für mich Chancengleichheit. Dass jedem die gleichen Möglichkeiten offen stehen, egal ob eine Behinderung vorhanden ist oder nicht. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ein Recht auf Bildung und Arbeit hat.

In einer idealen Welt würden sich Menschen mit Respekt gegenüberstehen. Sie würden Akzeptanz und Offenheit erfahren, egal wie sie sind.

Erst wenn wir aufhören, Menschen in Schubladen zu stecken, kommen wir dieser Idee vom Zusammenleben näher.

Erst wenn wir andere nicht mehr aufgrund ihrer Andersartigkeit kritisieren, können wir voneinander lernen.

Erst wenn wir aufhören, über andere zu urteilen, bevor wir wissen, wie es der Person wirklich geht, fangen wir an, aufeinander zuzugehen.

Doch die Realität ist ein Schlag ins Gesicht. Wir verpassen Menschen Etiketten. Sind Meister darin, zu allem und jedem eine vorgefertigte Meinung zu haben. Wir drücken die Verantwortung, erst einmal tiefer einzusteigen, von uns weg. Mit unangenehmen, anstrengenden, herausfordernden Themen wollen wir nichts zu tun haben.

Wir tricksen uns selbst aus, damit wir uns mit gesellschaftlichen Herausforderungen und unseren eigenen Vorurteilen nicht beschäftigen müssen. Wir bleiben in unserer Bubble: Mit Menschen, die uns in unserem eigenen Alltag nie begegnen, beschäftigen wir uns einfach nicht.

Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, uns gegenseitig zuzuhören, gesellschaftliche Veränderung anstreben, dass wir zusammenwachsen und am Ende alle gleich behandeln.

Wenn Menschen nicht die ganze Zeit mit sich selbst beschäftigt wären und einen Blick über den Tellerrand werfen würden, dann müssten Minderheiten nicht so kämpfen, um gehört zu werden.

 

Mit Seheinschränkung leben: Diese Hilfe brauche ich im Alltag

Ich lebe seit 2012 mit einer Seheinschränkung, einem sogenannten Nystagmus. Ich habe euch schon erklärt, was das ist, wie mein Sehen dadurch eingeschränkt ist und wie ich mich seit der  Seheinschränkung in meiner Wohnung organisiere. Bei vielem, was ich machen möchte, benötige ich Hilfe – vor allem, wenn ich unterwegs sein will. Was ist also die Aufgabe der Person, die mich im Alltag und auf Tour begleitet? Hier einige Tipps, die für Euch im Umgang mit seheingeschränkten Menschen vielleicht auch hilfreich sein können. Wobei es am besten ist, immer zu fragen, welche Hilfe auch erwünscht ist.

Sei es beim Arztbesuch, auf Reisen, beim Museumsbesuch oder auf größeren Veranstaltungen – es sollte der Begleitperson bewusst sein: Mich zu begleiten, ist mit Arbeit und Verantwortung verbunden, auch wenn es sich um Freizeitaktivitäten handelt.

Immer, wenn es rausgeht, bin ich auf Teamwork angewiesen:

Unterwegs mit Bus und Bahn:

Wenn ich unterwegs bin, verlangt meine Seheinschränkung den Assistenten einiges ab – aber selbst wenn mal was nicht so läuft, wie es soll, versuche ich es mit Humor zu nehmen. Vor allem Bus und Bahn werden für mich zur Wackelpartie. Meine Begleitung muss für mich nach einem Platz Ausschau halten und mir sagen wo ich mich festhalten kann. Bei diesem Tehma muss ich an eine Bahnfahrt auf der Reise nach Wien denken. Oft muss es schnell gehen, die Bahn war in diesem Fall nicht so nett, zu warten bis ich mich hingesetzt habe – ich bin ruckartig in den Sitz gefallen. Einmal bin ich sogar beinahe auf die Person gestürzt, die mir gegenüber saß. So oft wie dort in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ich schon lange nicht mehr den Halt verloren.

Unterwegs mit dem Auto:

Wenn ich mit Assistenten im Auto unterwegs bin, dann ist das für mich komfortabler. Aber auch hier ein Beispiel, wo trotzdem Probleme entstehen können. Wir sind auf dem Weg zu einem Treffen, Termin oder zu einer Veranstaltung. Wenn ich schon ausgestiegen bin und die Begleitperson bemerkt, dass sie noch einen Parkschein lösen muss, dann sollte sie mir das mitteilen, bevor sie geht. Und sie sollte dafür sorgen, dass ich mich entweder setzen oder irgendwo so lange festhalten kann bis sie wieder kommt.

Unterwegs zu Fuß:

Wenn wir zu Fuß unterwegs sind, ist Kommunikation elementar. Denn ich kann es nicht ausstehen, wenn aus heiterem Himmel an mir gezogen wird. Ich muss und möchte erst einmal wissen, was los ist. Sagt mir zum Beispiel, dass ein Auto entgegenkommt, das ich nicht sehe. Oder sagt mir, dass wir abbiegen müssen. Oder dass ihr mir etwas zeigen möchtet. Ihr habt einen Mund zum Reden, also benutzt ihn auch. Kommt nicht mit solchen vagen Aussagen wie „Da kommt ein Auto“, „Hier lang“, „Da hin“ oder – noch schlimmer – mit Schweigen. Wichtig ist, dass ihr die Umgebung für mich genau betrachtet und mögliche Stolperfallen für mich erkennt. Das könnte sein: ein nicht rangerückter Stuhl, eine Teppichkante, Stufen, der Bordstein oder ein sonstiger Absatz, Wurzeln oder Steine auf dem Weg.

Aber es gibt noch viel mehr Punkte in meinem Alltag, an denen ich Hilfe brauche. Und Verhaltensweisen, auf die ich besonders viel Wert lege:

Beschreibung meines Umfeldes bei Gefahr:

Wenn ihr mich warnen wollt, dann reicht es nicht „Vorsicht, pass auf“ zu sagen. Wenn ich so was höre komme sogar ziemlich schnell ins Schwanken, weil ich verunsichert bin. Die Angaben sollten möglichst präzise sein. „Vor dir kommt eine Stufe“, „Links von dir möchte eine Person vorbei“, „Direkt hinter dir steht ein Einkaufswagen“ – damit kann ich was anfangen. Und immer gilt: Beschreibe mir, was Du siehst.

Beschreibung eines Weges:

Die Seheinschränkung brachte mir die erschreckende Erkenntnis, dass die Sehenden richtig mies darin sind, Wege so zu beschreiben, damit ich was damit anfangen kann. Bei Wegbeschreibungen ist es wichtig für einen Seheingeschränkten, zu wissen, dass er oder sie auf dem richtigen Weg ist. Makante Anhaltspunkte sind dabei sehr hilfreich. Das kann eine Baustelle, ein Dornenbusch, eine Kirche oder ein Geschäft sein.

Beschreibung von sehenswerten Besonderheiten:

Sehenswürdigkeiten oder Kunst im Museum zu beschreiben ist noch einmal schwieriger. Aber versucht es. Ihr schenkt der seheingeschränkten Person einen großen Mehrwert damit. Der Besuch in einem Museum oder eine Reise gewinnt an Qualität und ihr selbst lernt noch etwas dazu. Ohne genaue Beschreibungen sind Museumsbesuche oder Fahrten zu Sehenswürdigkeiten aus meiner Sicht sonst reine Zeitverschwendung für mich.

Unterstützung bei schriftlicher Kommunikation:

Zu meinen Alltag gehört wie bei jedem anderen Menschen schriftliche Kommunikation. Wer mich kontaktieren möchte, sollte das am besten über WhatsApp oder per Mail tun. Dort habe ich die Möglichkeit, den Text zu vergrößern. Für weiterleitete Dokumenten per Mail sind PDF-Dateien für mich am praktischsten. Falls nur ein Blatt Papier in greifbarer Nähe ist, um schriftlich etwas festzuhalten, dann am besten groß, in Druckschrift und mit einen dicken Filzstift schreiben.

Orientierungshilfe bei Veranstaltungen:

Meine Assistenz teilt mir mit, wenn ihr den Raum betretet oder das Gespräch verlässt. Fragt mich, wo ich sitzen möchte, beschreibt mir den Raum und die möglichen Sitzplätze.

Gibt es noch weiter Punkte?

Die Assistenz ist also so gut wie immer meine Begleitung. Aber trotzdem möchte ich selbst wahrgenommen werden. Fangt nicht an, Fragen an die Assistenz zu stellen, die eigentlich an die Person mit Behinderung gerichtet sind. Das empfinde ich als dermaßen respektlos. Es gibt mir das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Es ist, als ob ich nicht existieren würde. Gleichzeitig solltet ihr der Assistenz Wertschätzung entgegenbringen.

Der Sound in meinen Kopf

Musik beeinflusst meine Gefühlswelt. Von einer Minute zur anderen ist die Welt wieder im Lot.

Musik ist ein guter Freund, ein Seelentröster und Ratgeber.

Deutscher Pop, Hip Hop und Rock beflügeln meine Seele. In so manchen Downphasen waren sie der Rettungsring auf hoher See.

Niedergeschmettert, am Boden.
Eingesperrt wie in einem Hundezwinger.
Keine Chance auf ein erfülltes Leben.

SDP begleiteten mich mit ihrem Songtext „Kein Wort“. Er fing mich auf und spiegelte mein Seelenleben wider.

Höre hier den Song „Kein Wort“ bei Youtube an

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich mich selbst bemitleidete, am Boden kauerte, Tränen liefen über meine Wange und es fühlte sich so an, als gäbe es keinen Ausweg aus dem Wohnheim hinaus.

Bei dem Song „Klopf, klopf‘‘ schlüpften Vincent und Dag in die Rolle der Superhelden. Er war wichtig für mich als ich mich in der Ausbildung von niemandem verstanden fühlte. Vincents und Dags Text sagt:

„Es macht klopf klopf an deiner Tür,
klopf klopf,
wir sind wieder hier,
besser du lässt uns rein
oder wir brechen ein.“

Das Raumschiff holt mich hier raus.
Ich machte mich aus dem Staub und schließ mein altes Leben hinter mir. Hauptsache weit, weit weg von hier.

Der Sound von „So schön kaputt“ und „Unikat“ dringt in mein Ohr. Erinneren mich zurück an die Zeit, als die Pfunde stetig abnahmen und ich immer dünner wurde. Als ich begann, mein Selbstwertgefühl von meiner Figur abhängig zu machen. Als die Stille ein Teil von mir wurde und mir das Messer lachend entgegen sprang.

Heute wird mir langsam bewusst das all der Schmerz, all die Widrigkeiten und all die Wut mir halfen, mich weiterzuentwickeln.

Mit Jennifer Rostock klettere ich den „Himalaya“  wieder rauf. Greife mir endlich „Mein Mikrofon“ und lernte, mich von meinen Lebensumständen nicht unterkriegen zu lassen. Ihre bunten, facettenreichen Texte berühren mich nach all den Jahren immer noch sehr und gehen mir unter die Haut.

Dieses Jahr ist das Jahr der Veränderung. Endlich will ich die Vergangenheit ruhen lassen.

Sonnenstrahlen zeigen mir den Weg.
Die Freiheit ruft, seit Langem wieder unbeschwert, und wenn nichts mehr geht, dreh ich die Musik ganz laut, damit meine Seele fliegt. Und für ein paar Minuten steht mein Leben auf Stand-by.

Kein Lebewohl

Die, die mir am nächsten stehen, sind so nah und doch so fern.
Zerreißen meine Träume in Stücke.
Es juckt mich nicht.

Von Vertrauen nicht die Spur.
Ist mir so was von egal, denn ich bin unangreifbar.

Der Schmerz sitzt tief,
das Herz pocht laut.
Jaulend wie ein Wolf leide ich vor mich hin.

Bin gescheitert bei dem Versuch mein Bestes zu geben, doch gegen eure Mauer komm ich nicht an.

Kein Lebwohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr philosophiert über mein Leben,
zerlegt es in Teile.
Ganz gleich was geschieht, im Vergleich zu den anderen kann ich auf euren Zuspruch lange warten.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr seid der Ansicht mich zu kennen, doch mein wahres Wesen bleibt verborgen.
Zuneigung spiegelt sich in materiellen Dingen.
Doch all das ist nichts wert, wenn ich die Liebe nicht spür.

Ihr nehmt mir den Atem, stutzt mir die Flügel.
Ich ringe nach Luft,
treibe in einem Wirbel im Ozean und ohne, dass ihr es merkt,  bin ich aus eurem Leben verschwunden.

Lass es Konfetti regnen, denn jetzt komm ich.
Ab sofort mach ich mir meine eigenen Regeln.
Lass alles hinter mir,
denn in diesem Augenblick fängt mein neues Leben an.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.