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Endlich mal eine barrierefreie Konzertlocation

Popsängerin Leony live im fantastisch barrierefreien Wizemann

Es herrschte ein erheblicher Andrang vor der Wizemann Konzerthalle in Stuttgart. Eine riesige Menschenmenge war voller Vorfreude darüber, dass die talentierte Popsängerin Leony an diesem Abend auftreten sollte. Nicht nur Leony versprach einen besonderen Abend, sondern auch der bemerkenswerte Service der Mitarbeiter. Aufgrund dessen, dass bei meiner Buchung nur noch Stehplätze übrig waren, habe ich ausnahmsweise meinen alten Rollator mitgenommen, um mich darauf setzen zu können. Da meine Begleiterin Elena mich und meinen Rollator vorher telefonisch angekündigt hat, mussten wir nicht wie die anderen Schlange stehen, sondern durften gleich rein.

Einer der Mitarbeiter hat uns in die erste Reihe vor der Bühne geführt. So einen Service durfte ich bis jetzt noch nie genießen.

Ich hatte im Wizemann einen Platz in der ersten Reihe.
Ich hatte im Wizemann einen Platz in der ersten Reihe. Das war einfach nur genial.

Diese Möglichkeit, in der ersten Reihe vor der Bühne zu sitzen, war für mich und Elena eine einzigartige Erfahrung und hat diesen Abend zu etwas Besonderem gemacht.

Dieser Artikel beschreibt also nicht nur Leonys Performance, sondern betont die Bedeutung der Barrierefreiheit für seh- und gehbeeinträchtigte Personen an diesem Veranstaltungsort.

Die Sängerin Leony begegnete mir auf Instagram

Leony ist eine talentierte Popsängerin aus der Schweiz, die ich auf Instagram entdeckte. Obwohl ich hauptsächlich deutschsprachigen Hip-Hop und Pop höre, hat sie meine Neugier geweckt. Kurzerhand habe ich also Elena für uns beide Karten bestellen lassen. 

Leony, mit bürgerlichem Namen Leonie Burger, hat seit ihrem Sieg in der RTL-Show “Rising Star” eine bemerkenswerte Solo-Karriere hingelegt. Ihr musikalisches Talent, Ehrgeiz und ihre stetige Weiterentwicklung haben dazu beigetragen, dass sie zu einer bedeutenden Persönlichkeit in der Popmusik-Szene wurde.

Wenn Du mehr über die Lebensgeschichte von Leony erfahren willst, dann schau Dir hier ihren Steckbrief an, Starporträts haben außerdem Gala, Jolie oder das OK-Magazin über sie geschrieben. 

Erstmalig barrierefrei zum Konzert – Musikgenuss für alle

Die Konzerthalle Wizemann hat mich positiv überrascht. Alle Räumlichkeiten sind ebenerdig, was die Zugänglichkeit für Personen mit Seheinschränkung erleichtert. Einige Bodenschwellen waren jedoch nicht optimal gekennzeichnet, was verbessert werden sollte. Denn meine Assistenz hat dadurch an einigen Stellen nicht bemerkt, dass sie mich auf eine Unebenheit hinweisen sollte. Im Gegensatz zu der größeren Porsche Arena in Stuttgart ist die Wizemann-Konzerthalle kompakter und dadurch übersichtlicher, was die Orientierung erleichtert. Es gibt keine Rollstuhlpodeste, da die Halle und die Konzerträume barrierefrei sind. Für mehr Informationen zur Barrierefreiheit schaut euch gerne die Webseite zur Konzerthalle an.

Leony steht in einem Glitzerkleid auf der Bühne.

Dort findet ihr Informationen über das Haus. Es handelt sich um eine ehemalige Industriehalle. Ihr könnt eine virtuelle Tour machen. Und im Awareness-Bereich lernt ihr die Einstellung der Macher kennen, allen ein geiles Konzerterlebnis zu bieten. Das hatte ich ja gleich bei meiner Ankunft gespürt. Weitere Infos zur Barrierefreiheit im Wizemann hat auch der Blog “Inklusion muss laut sein” zusammengefasst.

Mein Erlebnis dort war aufgrund der Barrierefreiheit schon ziemlich gut: In einer erstaunlichen Live-Show begeisterte Leony mit ihrer ausdrucksstarken Stimme das Publikum. Sie trug ein Glitzerkleid, das mich an die 70er-Jahre erinnerte und wurde von zwei talentierten Tänzerinnen begleitet.

Songs wecken Erinnerungen an den ersten Liebeskummer

Besonders die Songs „I can’t Feel“ (Single 2023) und „Remedy“ (vom Album  “Somewhere  in Between”) hinterließen einen bleibenden Eindruck bei mir. Wobei ersterer das Thema Liebesverlust behandelt. Der Song erinnert mich an meinen ersten Liebeskummer, wie lange es dauert, bis verletzte Gefühle heilen und man insgeheim die Hoffnung, einer Versöhnung in sich trägt. Dieses Gefühl schwingt ständig im Song mit, was ihn in meinen Augen so besonders macht.

Als jedoch die Lichter zu flackern begannen und sich immer rascher bewegten, war ich froh, als der Song vorbei war. Es herrschte eine energiegeladene Atmosphäre im Raum, die Fans jubelten, tanzten und sangen vor Begeisterung.

Hier der Link zu den Songs, die ihr auf Spotify findet. 

Hör mal rein in „I Can Feel“

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Remedy gefällt mir auch richtig gut.
Auf dem Konzert hat Leony auch ihre neue Single „Simpel live“ präsentiert. 

Der britische Singer und Songwriter Declan J Donovan trat als Vorgruppe auf. Die Performance hat mich so begeistert, dass ich definitiv ein Solokonzert von ihm besuchen werde.

Declan J Donovan steht auf der Bühne im Wizemann in Stuttgart.
Seine aktuelle Single „Hungry Heart“ findet ihr auf Spotify.

Ein echt umfassend inklusives Musikerlebnis

Ungeachtet einiger Verbesserungsvorschläge bei der Barrierefreiheit für Sehbeeinträchtigte Menschen kann ich sagen, dass in der Konzerthalle Wizemann Barrierefreiheit großgeschrieben wird. In diesem Haus ist für alle Besucher ein inklusives Musikerlebnis garantiert. Die Bemühungen der Betreiber, die Konzerthalle barrierefrei und inklusiv zu gestalten, zeigen vielen Inhabern anderer großer Locations, was auch sie besser machen könnten. Ich als Konzert-Bloggerin mit Sehbeeinträchtigung hatte ein ganzheitliches Konzerterlebnis – das lag auch an der facettenreichen Stimme, der energiegeladenen Atmosphäre sowie den melodischen Klängen und dynamischen Bewegungen der Tänzerinnen. Ich würde jederzeit wieder in diese Konzertlocation gehen und kann jeden nur dazu ermutigen, die Bedeutung von Barrierefreiheit zu unterstützen und eigene Erfahrungen zu teilen.

Rikas Location-Check: 4,75 von 5 Sternen

Räumlichkeiten: 

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

Trotz einiger Bodenschwellen gibt es kaum etwas zu beanstanden. 

Check-in/Einlass:

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

Durch die Möglichkeit direkt hineinzukommen, konnten wir uns schnell und stressfrei in den Räumlichkeiten orientieren.

Service:

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

Der Service im Wizemann war ein persönliches Highlight für mich. Ein Mitarbeiter führte uns direkt zu unseren Plätzen und wir hatten das Vergnügen ganz vorne in der ersten Reihe zu stehen.

Bestellvorgang der Karten:

⭐️⭐️⭐️⭐️

Der Bestellservice im Wizemann könnte besser sein. Wie gewohnt mussten die Karten telefonisch bestellt werden, und es kamen mal wieder lange Wartezeiten bei der Servicehotline auf einen zu. Eine einfache online Reservierung wäre eine nützliche Verbesserung für Menschen mit Behinderung und würde den gesamten Buchungsprozess erheblich erleichtern.

Bremsklotz:

Zum ersten Mal kann ich in meiner Bewertung keine negativen Punkte anmerken, was mich sehr freut. Diese durchweg positive Erfahrung hebt die Qualität der Veranstaltung und des Service deutlich hervor. 

Insgesamt lässt sich sagen: eine hervorragende Location mit nur geringfügigen Verbesserungsmöglichkeiten. Die positiven Eigenschaften überwiegen deutlich.

Collage - links ist Rika zu sehen, rechts Bodo Wartke.

Eine musikalische Wundertüte

Bodo-Warte-Konzert „Wandelmut“ in der Stadthalle Balingen auf dem Prüfstand – so barrierefrei ist die Location.

Aufmerksam auf Bodo Wartke wurde ich über Instagram. Seine Zungenbrecher haben mich so zum Lachen gebracht, dass ich neugierig geworden bin. Der Künstler ist zugleich Musiker und Kabarettist. Was hat der Mann im roten Anzug sonst so auf dem Kasten? Was unterscheidet ihn von den anderen Künstlern, die ich schon live gesehen habe? Und wie immer checke ich die Location für Euch – lest hier, wie barrierefrei die Stadthalle in Balingen ist.

Der Mann im roten Anzug

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Grün aufblinkende Scheinwerfer auf der Bühne am 24. November 2023 in der Stadthalle Balingen. Laute Geräusche wie Rasseln und Trommeln hallen in meinen Ohren. Es fühlt sich an, als würde mich der Beat einer riesigen Insekten-Wiese überwältigen. Bodo Wartke versteht es, sich am Klavier und mit weiteren Instrumenten zu begleiten. So schafft er es, mich mit seinen Reimkünsten über Insekten zu fesseln.

Das Ankommen an der Location

Aus dem Auto ausgestiegen, legte die Begleitperson mir meine Beintasche an. Die Tasche hat zwei Gurte. Der erste kommt um die Hüfte und der zweite wird am Oberschenkel befestigt. In der Beintasche befindet sich nur das notwendigste. Handy, Geldbeutel, Lippenpflege und zum Schluss dürfen natürlich die Augentropfen und Tabletten nicht fehlen. Sie ist nahezu perfekt für mich, sie rutscht nicht ständig von der Schulter, ich muss nicht ewig darin herumwühlen: Und das Schönste an den ganzen Sachen ist, ich kann trotz meiner fehlenden Feinmotorik in einer Hand meine Sachen mit der anderen Hand selbst verstauen, und wenn alles drin ist, habe ich beide Hände frei.

Ohne Treppen steigen zu müssen, betreten wir die Halle. Im Foyer kundschaftete ich nach der Ankunft erstmal mein Umfeld aus, was sich durch die beachtliche Menschenmenge als beschwerlich erwies. Inzwischen komme ich nach all der Zeit zwar mit der Tatsache klar, dass ich meine Umgebung verwackelt wahrnehme, um einiges besser zurecht. Stattdessen zerbreche ich mir über andere Sachen den Kopf.

Türen öffnen sich für mich nicht

Beispielsweise darüber, dass bei vielen Veranstaltungen keine Markierungsstreifen zu finden sind, und meine Assistenz mir durchgehend Treppenstufen ankündigen muss. In vielen Locations ist an den Treppen auf nur einer Seite ein Treppengeländer vorhanden, was mega-frustrierend sein kann. Das habe so zum Beispiel beim Fanta-4-Konzert in der Schleyerhalle in Stuttgart erlebt. Dann bin ich für jeden Schritt auf Assistenz angewiesen.

Positiv fiel mir auf: In der Stadthalle können sich Menschen mit Rollator oder im Rollstuhl frei bewegen. Soweit ich sehen konnte, waren auch Fahrstühle vorhanden. Einziges Manko: Die Türen der Halle öffnen sich nicht automatisch.

Wir drängten uns durch die Masse und suchten unsere Plätze. Der gigantische Theatersaal war voll besetzt. Zu meiner Verwunderung war erstaunlich viel Platz zwischen den Sitzreihen. Heißt im Klartext: Ich konnte ohne Schwierigkeiten an den Leuten vorbei. Leider wird in den meisten Konzertsälen an dieser Stelle am Platz gespart. Und wenn es zu eng wird, komme ich leicht ins Stolpern.

Ich sehe ein Ampelmännchen

Die Beleuchtung im Saal ging aus. Ein Mann in Rot betrat die Bühne. Ihr kennt doch das rote Männchen, wenn ihr vor der Ampel wartet? Genau so sah Bodo Wartke in dem Moment für mich aus.

Natürlich war er selbst nicht rot, sondern trug einen roten Anzug. Zwischendurch beschrieb mir meine Assistentin die Bühne, neu dazugekommene Musikinstrumente und den Anzugswechsel des Künstlers – jetzt war die Ampel sozusagen auf Grün gesprungen. Aufmerksam hörte ich den Zungenbrechern, den amüsanten Erzählungen wie auch dem lustigen Gesang zu. Ich schätze Bodo Wartke vor allem dafür, wie er Krabbeltiere musikalisch zum Leben erweckt hat, als er die Trommeln rührte, das Klirren der Rassel ertönte, und er Moskitos in seinem Sprechgesang aufnahm. Hier bekommt ihr einen Eindruck, was ich meine:

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Der letzte Ton

Eine Verbeugung als Dank, dröhnender Applaus. Während der Saal sich langsam leerte, machte ich mit meiner Assistentin noch einen kleinen Rundgang. Auf keinem Konzert konnte ich die Bühne so aus der Nähe sehen.

Wir haben an dem Abend viel fotografiert, um Euch auf Instagram einen Einblick in mein Leben mit Seheinschränkung zu gewähren.
Also hinterlasst mir gern einen Kommentar mit euren Wunschthemen oder was euch gefallen hat, und folgt mir auf Social Media. Jetzt bekommt ihr noch das Ergebnis meines Location-Checks – so barrierefrei ist die Stadthalle in Balingen:

Rikas Location-Check: 4 von 5 Sterne

Räumlichkeiten:

Check- in/ Einlass:

Service:

Bestellvorgang der Karten:

Bremsklotz:

Der Gang zum Bäcker: Straßen und Wege – oft krumm und schief

Lies hier meinen Gastbeitrag für das Mitteilungsblatt meines Heimatortes Althengstett. Ich beschreibe darin, wie schlecht es auf den Straßen des kleinen Ortes um Barrierefreiheit bestellt ist. Ein Fakt, der mir auch kurze Wege im Alltag schwer macht:

Mein Name ist Rika, bin 33 Jahre alt. Ich habe einen Blog rikas-blog.de und poste auch auf Instagram. Meine Berichte sind aus der Perspektive einer seh- und geheingeschränkten Frau. Ich möchte Menschen mit Einschränkungen dazu motivieren, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Den Menschen ohne Einschränkungen möchte ich vermitteln, wie man kulturelle Angebote inklusiver gestalten kann.

So orientiere ich mich

Früher saß ich im Rollstuhl. Mein Weg zum Bäcker mit Walking Stock in Begleitung meiner Sportassistenz sieht so aus:

Da ich keine Straßenschilder lesen kann, orientiere ich mich an größeren Anhaltspunkten, wie ein farbiges Haus sein, der Kirchturm, ein Friedhof oder ein Zaun und merke mir so den Weg. Auf den Straßen meines Heimatortes ist es eher schlecht um Barrierefreiheit bestellt.

Der Stock ist wie ein guter Freund, Stütze bei Unsicherheit, das Gleichgewicht verliere oder erneuter Orientierung. Wenn alle Stricke reißen, steht mir meine Assistenz mit Tipps und Tricks zur Seite. Mein Umfeld nehme sehr unscharf wahr, meine zitternden Augen (wie Wackelkontakt) müssen sich bei jeder Bewegung neu fokussieren. So stoße ich wie viele andere Menschen mit Einschränkungen, wie z.B Fußgänger mit Rollator / Rollstuhlfahrer auf beschwerliche Hürden.

Holprige Wege bringen mich ins Wanken

Mit dem Stock immer voran, taste ich jegliche Barriere ab. Auf dem Weg zum Bäcker erwarten mich Hindernisse wie nicht abgesenkte Bordsteinkanten, Mülltonnen, enge Bürgersteige oder holprige Wege, die mich ins Wanken bringen. Solche Situationen verunsichern mich massiv.

Früher, noch mit Rollator unterwegs, habe ich die ungeraden Strecken und Bordsteinkanten verflucht. Mit Walkingstock stehe ich heute vor anderen Aufgaben: Treppen / beidseitige Handläufe! Es fehlen die Markierungsstreifen zur Erkennung der einzelnen Stufen. Die Treppe vor dem Seniorenheim ist leider ein perfektes negatives Beispiel. Mir ist klar, dass es an vielen Stellen noch an Aufklärung mangelt und dadurch das Bewusstsein dafür fehlt.

Doch zusammen können wir so viel erreichen, wenn wir nur wollen.


Lest hier weitere Gastbeiträge, die ich für das Mitteilungsblatt in einer kleinen Serie geschrieben habe:

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Mein Weg: In Etappen zur Zielgerade

Vom Rollstuhl bis zum Rollator war es ein langer Weg. Doch lasst mich zum Anfang zurückspulen. Ich erzähle euch in fünf Kapiteln wie ich schon im Krankenhausbett mit Physiotherapie begonnen, mich wieder in Form gebracht habe und heute körperlich fit halte.

1. Kapitel: Mein Körper ist mein Tempel

Es ist hart in den sauren Apfel zu beißen und die Ist-Situation so anzunehmen wie sie im Augenblick ist. Vorher noch als Fußgänger unterwegs und  – zack, bam –  war der Rollstuhl mein neuer Freund. Nach meiner Hirnblutung im Jahr 2012 konnte ich nicht mehr gehen, an meinem linken Arm funktioniert seither nur noch die Grobmotorik und mein Sehvermögen war plötzlich eingeschränkt. Schlagartig habe ich bei den normalsten Alltagssituationen Unterstützung benötigt. Beim Anziehen der Kleidung, beim Toilettengang oder beim Duschen. Eine grauenhafte Vorstellung, die nur schwer zu akzeptieren war. Andere dringen in deine Intimsphäre ein, und es gibt nichts was du dagegen tun kannst, außer deine Scham zu überwinden und es zuzulassen. Es gibt keine Alternative. Doch überraschenderweise gewöhnt man sich selbst an diesen Umstand.
Um aus dieser Lage herauszukommen, standen folgende Ziele im Fokus:

  • Muskelaufbau in den Beinen
  • Training der Motorik des linken Armes, die durch die Spastik eingeschränkt war und teilweise immer sein wird

Um diesen Vorsatz zu erreichen, fordert  es einen starken Willen und viel Disziplin.

Von nix kommt nix, denn die Therapeuten stehen dir zwar zur Seite, doch die Arbeit wird einem nicht abgenommen. Letztendlich zahlten sich jegliche Strapazen, die ich auf mich nahm, aus. Und all die Zweifel, die ich während der Reha-Zeit verspürte, waren wie weggeblasen. Dank den lieben Mit-Patienten und dank der Unterstützung meiner Familie überstand ich auch diese Phasen.

Jetzt, mehr als zehn Jahre später, gehört der Rollstuhl längst der Vergangenheit an, stattdessen gehören der Rollator sowie meine Beinschiene zum Hier und Jetzt.

Heute bin ich außerhalb der Wohnung mit Assistenz unterwegs. Mit  vollstem Vertrauen halte ich mich an der Schulter meiner Begleiter fest, auf die ich mich im Alltag verlassen kann. Dies lässt mich Barrieren leichter überwinden. In solchen Situationen trage ich als Hilfsmittel nur noch meine Beinschiene am linken Bein.
Der Rollator wird bei Alleingängen stets in Anspruch genommen.

Drinnen in meiner gewohnten Umgebung kann ich sogar ohne Schiene laufen. Selbstständiges Duschen ist wieder möglich. Beim Anziehen der Kleidung übernimmt der rechte Arm den Hauptpart, doch der linke Arm kann trotz Spastik mit helfen.

Wie ich es geschafft habe, meinen Körper durch Muskelaufbau wieder auf Vordermann zu bringen, und was mir dabei geholfen hat, erfahrt ihr im nächsten Kapitel.

2. Kapitel: Bewegung für Körper und Geist

Muskeln und Kondition zu verlieren geht ziemlich schnell, sie hingegen wieder aufzubauen ist ein  langer und steiniger Pfad.

Wie ich das geschafft habe?

Ich erzähl’s euch!

Das größte Hindernis ist es, zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Phasen des Fortschritts gibt.
Meist kommt erst ein gigantischer Schub an Entwicklung, und dann geht es immer wieder in kleinen Schritten voran.

Somit ist viel Geduld und Ausdauer gefragt.

Einen ersten Versuch das Bett zu verlassen, habe ich bereits im Krankenhaus gemacht. Eine Schwester  stützte mich dabei. Damit der Kreislauf in Schwung kommen konnte.

In der Reha habe ich später in der langen Zeit von eineinhalb Jahren herausgefunden, was mir am meisten hilft und was  für mich nicht in Frage kommt. Ergometer, Laufband und Schwimmen dienten zum Aufbau von Ausdauer und Kondition. Doch bis das klappte, musste ich erst einmal Rückschläge hinnehmen. Die Überraschung war groß, als ich feststellen durfte, dass ich  mich bei dem Versuch scheiterte, mich über Wasser zu halten. Wie soll das auch klappen, wenn die Muskulatur fehlt? Der Bewegungsablauf war klar, doch ohne Muskeln läuft da nichts.

Auch wenn das Schwimmen nicht immer ohne war, wurde es zu meiner Lieblingssportart, dicht gefolgt vom Wandern in der Natur.

Gleichgewichtstraining am Stepper, Übungen am Trampolin oder mit dem Ball gehörten nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Nichtsdestotrotz hängte ich mich voll rein, da auch diese therapeutischen Maßnahmen für das Gleichgewicht wichtig sind.

So ist es mir mit der Zeit möglich gewesen, bei  unvorhergesehenen Stolperfallen,  die mich ins Schwanken geraten ließen, wieder mein Gleichgewicht zu finden.

Um die Beinmuskeln wiederherzustellen half mir das Stehen  auf einer Vibrationplatte, die meine Tiefenmuskulatur stimulierte und meine Beine stabilisierte. Vor allem das linke Bein benötigt diese Stabilisierung und erhält im Alltag durch eine Schiene noch zusätzlich mehr Halt.

Schnell kam ich zu der Erkenntnis, dass das Laufen sowie das Schwimmen alleine nicht ausreichen um meine Beinmuskelatur zu erhalten, und dass so eine Vibrationplatte für den Hausgebrauch ganz schön viel Holz kostet.

In seltenen Fällen, wenn man Glück hat, findet man eine Praxis, die mit solch einer Platte ausgestattet ist. Allerdings hat das Training mit der Vibrationsplatte auch seinen Preis, den ich selbst bezahlen muss. Die Krankenkasse finanziert dieses Training nicht.

Ich fasse noch mal zusammen, was mir bei der Genesung am meisten geholfen hat.

  1. Laufband
  2. Schwimmen
  3. Vibrationsplatte
  4. Gleichgewichtstraining

Wenn ihr wissen wollt, warum ich mich für bestimmte Sportarten wie Schwimmen oder Wandern entschieden habe und wie sich das Ganze auf meinen Körper auswirkt, dann lest in Kapitel 3 weiter.

3. Kapitel: Integriere Sport in deinen Alltag

Regelmäßige Bewegung bringt nicht nur den Kreislauf wieder in Schwung, sondern regt auch den kompletten Bewegungsapparat an. Sie verringert die Anfälligkeit von Rückenproblemen und sorgt für bessere Ausdauer und Kondition.

Diese Sportarten baue ich regelmäßig in meinen Alltag ein, damit ich meine körperliche
Fitness nicht verliere.

Zwei mal die Woche begebe ich mich ins Schwimmbad.

Ein- bis zweimal die Woche gehe ich Walken.

Wandern findet einmal im Monat statt.

Zusätzlich steht einmal die Woche für eine Stunde Physio auf dem Programm. Nicht zu vergessen: einmal Ergotherapie pro Woche für 45 Minuten.

Natürlich wird das Sportprogramm an den Alltag angepasst.

So gehe ich seit ich umgezogen bin nicht mehr so oft schwimmen, dafür zweimal die Woche ins Fitness. Am neuen Wohnort muss ich noch Assistenten für den Sportbereich suchen.

Wann ich welche Sportart begonnen habe, kann ich  nicht mehr genau sagen. Doch noch viel bedeutsammer als das Wann ist das Warum.  Denn ohne ein Warum ist das Scheitern vorprogrammiert.

Im Vergleich zu vielen anderen Sportarten werden  beim Schwimmen mehrere Muskeln gleichzeitig eingesetzt. Die Arm-, Bein, Schulter und Brustmuskulatur werden beim Brustschwimmen besonders trainiert. Darüber hinaus die Gesäß- und die gesamte Beinmuskulatur.
Mehr Ausdauer und Kondition sind großartige Nebeneffekte, die durch anhaltendes Training erreicht werden können.

Doch nicht nur Schwimmen trainiert gewisse Muskelnpartien, auch Wandern verlangt meinem Körper einiges ab.

Wandern nimmt genau die Muskeln voll in Anspruch, die wichtig sind, um den Stützapparat aufrecht zu halten. Das betrifft die Bein-, Rücken- und Bauchmuskulatur.

Sie geben meinem Körper den richtigen Halt für ein gesundes Gleichgewicht und einen stabilen Gang.

Aufgrund meiner Halbseitenlähmung ist es aber auch wichtig, die Tiefenmuskulatur zu trainieren. Manche Physiotherapie-Praxen verfügen dafür über eine Vibrationsplatte.

Während des halbstündigen Trainings wird auf der Platte die Tiefenmuskulatur über Schwingungen erreicht, die bei einem normalen Workout oftmals gar nicht erreicht wird.
Das Vibrationstraining stärkt die Beinmuskulatur und den Gleichgewichtssinn.

4. Kapitel: Meine Hilfsmittel beim Sport

Für jede dieser sportlichen Aktivitäten brauche ich gewisse Hilfsmittel, ohne die ich nicht auskomme.

Darunter fallen unter anderem mein Schwimmgurt, ohne den ich mich nicht auf Dauer über Wasser halten kann. Aber auch die Schwimmbrille, die vor allem das rechte Auge schützen soll, da dort die Reaktion des Augenlids aufgrund meiner Gehirnblutung verlangsamt ist. Auf Wanderschaft darf abgesehen von den Wanderschuhen die Schiene nicht fehlen. Schließlich dient sie zur Stabilisierung des Beins und somit zur Unterstützung des Knies, außerdem sorgt sie dafür, dass der Fuß nicht abknickt. Was ich auch nie vergessen darf, sind die Augentropfen für den Ersatz der Tränenflüssigkeit des rechten Auges.

Durch meine halbseitige Lähmung der kompletten linken Körperhälfte ist regelmäßiger Sport von immenser Bedeutung. Ein längerer Ausfall hat harte Konsequenzen für mich.

Welche Konsequenzen das sind, erläutere ich im letzten Kapitel.

5. Kapitel: Folgen mangelnder Bewegung

Die Konsequenzen lassen sich ziemlich kurz zusammenfassen. Die Fitness und vor allem die Muskelatur lassen nach.  Dies macht sich vor allem am Bein und an der Rückenmuskulatur bei mir bemerkbar.

Ohne Training würde mein linkes Bein instabiler werden. Auch meine Körperhaltung wäre schlechter, weil mich meine Rumpfmuskulatur speziell auf der linken Seite aufrecht hält. Durch all das hätte ich mehr Gleichgewichtsprobleme und wäre weniger mobil. Und das wäre für mich der Horror.

Das Problem ist, dass ich meine körperliche Verfassung nicht alleine aufrechterhalten kann. Um Sport machen zu können, brauche ich meine Assistenten. Fallen sie krankheitsbedingt aus, sagen aus anderen Gründen ab oder fehlen mir die passenden Leute für diese Unterstützungsarbeit, leidet meine Gesundheit darunter.

Ich brauche ein zuverlässiges Team, damit ich auf Dauer auf dem aktuellen Fitness-Level bleibe. Denn wenn ich eines nicht möchte, dann ist es, wegen mangelnder Assistenzhelfer einen Rückschlag zu erleiden.